Ich bin eine Kaiserschnitt-Mama. Dieses Kapitel öffne ich heute. Und es fällt mir mehr als schwer dieses zu öffnen und es wird wohl auch noch eine ganze Weile andauern, dieses zu verarbeiten und eines Tages in ein Buch zu packen und in einem Regal abstellen zu können.
Mir wurde die Chance (letztlich notwendigerweise/ sekundäre Sectio) genommen, Lia Charlotte auf natürlichem Wege auf diese Welt zu bringen.
“Hauptsache ihr seid beide gesund.” Wie oft ich diesen Satz als Antwort darauf schon bekommen habe. Natürlich! Gesundheit ist das höchste Gut und dieses weiß ich auch sehr zu schätzen.
Dennoch ist und war es ein Eingriff. Nicht nur in und an meinem Körper sondern auch an meiner Seele.
Die Geburt ist eines der größten Ereignisse im Leben einer Frau. Und jede Einzelne von uns hat Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen, was die Geburt ihres Kindes angeht. Und wir sind umso trauriger, wenn sich diese nicht erfüllen.
Wir beweisen gleichzeitig so viel Stärke, Kraft und auch Mut. Und das schon weit aus vor der Geburt. Bereits während der Schwangerschaft. Wir leisten so viel Großes. Auch unser eigener Körper ist der Wahnsinn. Wir bringen ein menschliches Wesen, ein kleines Ich, zur Welt.
Dennoch werden meist die großartigen Geburtsgeschichten, die auf natürlichem Wege geschehen sind, erzählt, die zahlreiche Frauen an ihren Geburtszielen festhalten lässt.
Aber letztlich gibt es auch die unbesungenen Heldinnen, die nicht alle Daumen nach oben und High-Fives bekommen würden und bei Facebook geteilt werden. Über Kaiserschnittentbindungen wird kaum bis gar nicht geredet oder mit “ihr seid doch gesund” oder ” das Erlebte vergisst du irgendwann”, abgetan und hinweg geschwiegen.
Kaiserschnitt- Mütter sind tapfer, denn auf einen Kaiserschnitt vorbereitet zu werden, ist kein Sonntagsspaziergang. Oftmals wird der Partner so lange nicht im OP geduldet, bis die PDA gesetzt wurde und jeder “an seinem Platz ist”. Das bedeutet, dass die Ärzte und Krankenschwestern herumwandern, den OP- Saal für die Geburt vorbereiten (sich vielleicht noch über ihr Mittagessen oder den Film unterhalten, den sie letztes Wochenende gesehen haben), während eine starke, schwangere Mutter auf einem kalten OP-Tisch liegt und darüber nachdenkt, was auf sie zukommt – oftmals verängstigt und oftmals mit dem Gefühl, allein zu sein. Und in diesen Momenten muss eine Kaiserschnitt-Mama an der starken und kämpferischen Liebe für ihr Baby festhalten. Sie lässt die Angst über sich kommen… und dann lässt sie sie von sich weichen..
Kaiserschnitt- Mütter sind stark, denn es gibt nicht viele Mütter, die sagen werden, ein Kaiserschnitt wäre der erste Gedanke gewesen, wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten. Ein Kaiserschnitt ist im besten Fall medizinische Notwendigkeit, im schlimmsten Fall kann er ein altmodisches Vorgehen eines Arztes sein, der sich eine “bequeme” Geburt wünscht. Einige Kaiserschnitt-Mamas haben wochenlang Zeit, sich auf die Änderung ihrer Pläne vorzubereiten, aber viele haben nur Tage, Stunden oder Minuten. Plötzlich haben sich all ihre Visionen, wie sie ihr Kind auf dieser Welt begrüßen möchte, geändert. Ihr Plan für die Geburt wurde über den Haufen geworfen. Eine Operation steht ihr bevor. Sie weiß nicht, wie lange sie nach der Geburt darauf warten muss, ihr Baby in den Armen zu halten.. Und dann passiert die tatsächliche Operation. Das wirkliche Aufschneiden und Nähen. Die vollständige Heilung dauert oft Monate. Und während viele von uns sich nach einer größeren Operation mit einem großen Napf Eiscreme und einem Stapel Filme zusammenrollen möchten, tun Kaiserschnitt-Mamas das Gegenteil. Sie hegen und lieben ihre hilfebedürftigen, wunderschönen Babys und bauen eine Bindung zu ihnen auf.
Kaiserschnitt- Mütter sind schön, denn Mutter zu werden hinterlässt bei jedem von uns Narben. Manche sind emotionaler Natur, einige sind körperlich. Kaiserschnitt-Mamas haben oftmals beides. Und dennoch sind ihre Narben starke Erinnerungen an die Stärke und Tapferkeit, die sie bewiesen haben, als sie ihr Kind auf die Welt brachten. Diese Narben sind die Tür, durch die ihr Kind gekommen ist, als es die eine Welt verlassen hat, um in eine neue aufzubrechen.
Ich werde mein Geburtserlebnis nie vergessen. Die Narbe bleibt. Körperlich wie auch auf emotionaler Ebene. Man lernt vielleicht mit der Zeit, mit dem Schmerz und den damit verbundenen Erinnerungen umzugehen. Doch vergessen? Niemals. Es braucht Zeit. Ganz viel Zeit.
Darüber reden bringt etwas. Ein wenig. Es tut gut, seinen Ballast in dem Moment Worte zu verleihen und den Gedanken dazu, freien Lauf zu lassen.
Natürlich auch, Tag für Tag meiner süßen Tochter in die Augen zu schauen, sie lächeln zu sehen und zu wissen, es war das “Beste” so, für sie, denn sonst wäre sie nicht hier.
Ich lese auch viel. Derzeit das Buch: ” Kaiserschnitt und Kaiserschnittmütter”. Ich bin bisher noch nicht weit gekommen, aber mich haben bereits die ersten Seiten sehr berührt und ich glaube, es ist ein guter Begleiter auf dem Weg zur Heilung.

Was ich aus diesem Buch noch zitieren und erzählen möchte ist die Geschichte der Göttin Inanna, um nur ein Beispiel  aufzuzeigen, was wir Kaiserschnitt- Mütter geben:
Inanna ist eine große Königin und die Himmelsgöttin. Vom Gott der Unterwelt wird ihr Baby entführt, ihre Tochter. Um ihr Kind zurück zu bekommen, muss Inanna die Reise in die Unterwelt antreten und den Gott der Unterwelt konfrontieren. Diese Reise führt sie durch sieben Tore. Bei jedem dieser Tore muss Inanna etwas von ihrem weltlichen Körper zurücklassen, um weitergehen zu können. Das 1. Tor: Sie gibt die Krone, all ihren kostbaren Schmuck und damit auch ihren weltlichen Status als Königin ab. Beim 2. Tor werden all ihre königlichen Kleider und die feine Unterwäsche weggenommen. 3. Tor: Sie gibt ihre Haare. Das 4. Tor: Sie gibt ihre Haut. 5. Tor: Sie gibt ihre Muskeln her. 6. Tor: Sie gibt alle ihre Organe. Das 7. Tor: Sie gibt ihr übrig gebliebenes Skelett und sich selbst.. Damit sie ihren Eintritt in die Unterwelt erreicht und bezahlt und in diesem Augenblick sieht und hört sie ihr Kind wieder!
Durch ihre Selbstaufgabe und Bereitschaft zur Hingabe hat sie die Prüfung bestanden, der Gott der Unterwelt hat seine Macht verloren und muss Inanna ihre Tochter zurückgeben. Zusammen mit ihrem Kind steigt Inanna nun wieder Tor für Tor hinauf, in die menschliche Welt. An jedem Tor erhält sie ihre Opfergaben zurück, bis sie auf der Erde angekommen, wieder ganz erneuert und gesund wiederhergestellt ist. Nur ihr kurzes Haar, das selber nachwachsen muss, erinnert noch eine Weile an ihre Reise. Nun ist sie wahre Königin und Göttin, denn sie ist einen Tod gestorben auf ihrer Reise in die Unterwelt. Den Tod der Wünsche des eigenen Selbst! Für das Leben ihres Kindes hat sie einen hohen Preis bezahlt, ihr eigenes Leben gegeben, doch sie ist wieder auferstanden.
Dies spiegelt auf verblüffende Weise die Situation der unfreiwilligen Kaiserschnittmutter. Wir haben wie Inanna viele Tore durchschritten. Zuerst haben wir unseren Titel in der Welt abgegeben. Ob Postfrau, erfolgreiche Managerin oder Studentin, spielt keine Rolle mehr, auch nicht, ob wir allgemein oder privat versichert sind. Wir wurden entkleidet, rasiert und unsere Haut sowie die Muskelschicht aufgeschnitten. Bis zum innersten Organ, der Gebärmutter, wurden wir blossgelegt. Und dort, wo wir alles hingeben mussten, haben wir unser Kind bekommen. Es war ein hoher Preis für uns. Dieser Preis heißt Hingabe.

Und bitte liebe Mamas, die ihre Kinder auf natürlichem Wege zur Welt gebracht haben, ich freue mich mit euch (!) und ich möchte mit diesem Beitrag niemals die Behauptung aufstellen, ihr hättet weniger geleistet oder gekämpft.
Dies Ganze hier dient meiner Verarbeitung aber auch der Ermutigung, mehr über Bauch- Geburten zu sprechen und diese nicht so abzutun. Den anderen Müttern mehr Gehör zu schenken.. Mehr Unterstützung.. Statt Kaiserschnitt-Mamas zu vermitteln, sie müssten sich dafür schämen, müssten sie ermutigt werden, der Welt ihre Narben der Stärke und Tapferkeit zu zeigen. Das würde ich mir wünschen.

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7 Comments

  1. Liebe Sinah,
    du sprichst mir förmlich aus der Seele.
    Auch ich hatte mir so sehr eine „normale“ Geburt gewünscht. Aber es kam alles anders als gedacht.
    Vor knapp 4 Wochen wurde ich ebenfalls eine Kaiserschnittmama. Meine Tochter wurde ganze 3 Wochen früher geholt und ich hatte 30 Minuten Zeit von der Nachricht „Wir müssen Ihre Tochter holen“ bis zum OP Tisch. Mein Mann durfte mich die gesamte Zeit über begleiten und unterstützen. Worüber ich sehr dankbar bin. Denn ohne ihn hätte ich es mit Sicherheit nicht so gut verkraftet. Mein traumatischstes Erlebnis war, als sie meine Tochter aus mir raus geholt haben. So ganz ohne Liebe und für mein Empfinden ziemlich grob. Selbst mein Mann war erschrocken darüber wie ich und der OP-Tisch sich „bewegt“ haben.
    Als wir dann nach 4 Tagen nach Hause durften ist mir erst bewusst geworden, dass ich dieses unheimlich zarte Wesen (46cm und 2.420g) nicht mehr mit mir als Hülle beschützen kann.
    Mich persönlich belasten die seelischen Narben mehr als die äußere. Ich hoffe, dass sich dies bald legt und ich nicht mehr all zu oft an dieses Erlebnis decken muss.
    Danke nochmal für deinen tollen Beitrag!
    Liebe Grüße
    Tanja

    • Liebe Tanja,
      Ich danke dir von tiefstem Herzen für deine Offenheit.
      Ich kann nur zu gut verstehen und nachempfinden wie es dir ergeht und was du fühlst..

      Das auf dem OP Tisch, und das grobe Bewegen kenne ich auch von meiner OP nur zu gut.. Lia musste rausgeruckelt werden, da sie durch den vorangegangenen Geburtshergang bereits tiefer gerutscht war. Auch ich empfand es als sehr grob und hatte auch Tage danach Schmerzen, da sie mir dabei an meiner Blase entlang gekommen sind..

      Ich kann dir nur sagen- von mir persönlich ausgehend und Stand heute – die Zeit wird heilen.. nicht in vollem Umfang, aber du wirst besser damit umgehen können.. eines Tages.
      Für mich ist heute, 10 Monate nach Lia’s Geburt, der Punkt der Akzeptanz über das Geschehene erreicht, dennoch ist die Enttäuschung noch da, sie nicht so geboren zu haben wie ich es mir gewünscht hätte. Aber dennoch sehe ich es als Geschenk sie bekommen zu haben. Vor allem gesund..

      Ich hoffe du wirst auch für dich einen Weg finden..
      Und dein Umfeld dir das Verständnis entgegen bringen dass du brauchst(was viele leider nicht können.. so war es bei mir..) Einzig und allein du, dein Mann und eure Tochter könnt auf euch bauen. Ich freue mich, dass dein Mann so toll an deiner Seite war währenddessen.

      Ich ziehe bis heute meinen Hut vor meinem Herzensmann, den auch er ist diesen Weg mitgegangen. Vielleicht seelisch sogar fordernder als meiner es war.. er musste mit ansehen wie wir gekämpft haben, Schmerz und Enttäuschung erleiden mussten. Unzählige Stunden ausharren. Und trotzdem bedingungslos an meiner Seite war.

      Alles alles liebe für dich,
      Sinah

      • Und ich freue mich sehr darüber, dass vielleicht auch mein Beitrag eine kleine Stütze dabei ist ♡

  2. Sinah, mit Abstand einer deiner besten Beiträge wirklich! Man spürt beim Lesen wie viel Gedankengut, echt Gefühle darin stecken. Selbst wenn ich nicht ein ähnliches Schicksal erlebt hätte, würde ich mich anhand dieses Beitrages sehr gut in dich hineinfühlen können. Ich freue mich sehr, dass du dich dazu entschieden hast das Thema öffentlich anzugehen und somit einen sicherlich wichtigen Schritt für die Verarbeitung gegangen bist. Nur zu gut kann ich nachempfinden was du beschrieben hast, dein Text tat auch meiner Seele gut (und sicherlich auch einigen anderen Müttern). Vielen Dank dafür!
    Fühl dich gedrückt! Janina

    • Ich danke dir von tiefstem Herzen für dieses große Kompliment Janina ♡
      Ich drück dich fest zurück

  3. Yvonne fundke Reply

    Hallo sinah, das ist ein wirklich sehr sehr toller Text ! Ich bin keine die eigentlich bei solche Sachen kommentiert aber das ist ein Thema das wirklich viele Frauen betrifft und uns doch auf eine etwas seltsame Art und weise verbindet. Auch ich hatte eine secundäre sectio, mehr als ungewollt. Dieser Moment des allein seins im op Saal bis der Mann zu einem darf war für mich in diesem Moment der blanke Horror! Die Angst vor Ärzten und khs machte dies natürlich nicht Leichter. Diese Angst nicht zu wissen was dann genau auf einen zukommt, dieses wehrlose Dasein auf diesem Tisch trägt nicht gerade dazu bei dass man sich besser fühlt. Ich hatte das Glück einen super tollen anästhesisten gehabt zu haben der gemerkt hat mit was für einer Panikattacke ich in diesem Moment zu kämpfen hatte und hat sich neben mich gesetzt und mich beruhigt bis mein Männlein die Stellung übernahm. Ich war damals tatsächlich einfach nur noch erleichtert als es “rum” war ( aber nach 3 Tagen wehen darf man das glaub ich auch:D ) man lernt mit dieser Situation irgendwann umzugehen. Zumindest ist es bei mir so. Ich wünsche dir weiterhin viel kraft das erlebte zu verarbeiten, die Stärke es zu akzeptieren wie es ist, auch wenn es nicht dein Wunsch war. Aber sei Stolz auf das was du und auch dein Körper geschafft hat. Trotz allem ist und bleibt es eine Geburt und ist gewiss kein Zuckerschlecken. Alles liebe Yvonne:*

    • Ich danke dir vielmals für deine lieben Worte, Ehrlichkeit und vor allem Offenheit Yvonne ♡
      Und schön, dass der Anästhesist deine Panik bemerkt hat und bis dein Mann kam, an deiner Seite war.

      Und vielen Dank für deinen Zuspruch.
      Ich werde irgendwann den Weg finden. Hoffe ich. Aber das brauch Zeit.

      Ich wünsche dir und deiner Familie das Allerbeste für die Zukunft.

      Liebste Grüße an dich
      Sinah

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